1954 verlor Frankreich seine „Perle in Fernost“
Vietnam mon Amour
Die Liebe blieb letztlich unerwidert. Auch 35 000 Deutsche und Österreicher kämpften damals in Vietnam.
Wiener Zeitung, April 2014
35 000 Deutschsprachige kämpften in Indochina. Einige aus Überzeugung wie der Wiener Viet Minh-Oberst Ernst Frey, die meisten aber als Söldner der Fremdenlegion
Die Region zu jener Zeit liegt im Schatten unserer Wahrnehmung: Vietnam Ende der 1940er, Anfang der 50er Jahre. Wir erinnern uns an Indiens Unabhängigkeit, die kommunistische Machtübernahme in Peking, oder den Koreakrieg. Deutschland und Österreich waren damals mit sich, dem Nachkriegselend, der Teilung beschäftigt. Viele Junge wollten raus. Die Fremdenlegion warb für den Kampf des gedemütigten Frankreich zur Wiedererlangung seiner kolonialen Perle in Fernost. Annam, Tonking, Cochinchina wurden zu klingenden Synonymen für Abenteuer. Die lasterhafte Vorstellung von weiblichen orientalischen Schönheiten und billigem Opium ließ die Kolonie in sanftem Licht erstrahlen und hatte nicht nur für Dichter, sondern auch auf verkrachte Existenzen eine Verführungskraft. Das Fernweh mit der Aussicht auf Reichtum erinnerte an europäische Landsknechte, die sich nach dem Dreißigjährigen Krieg im Sold diverser bewaffneter Handelskompanien nach Ostindien einschifften.
In Westeuropa war nach 1945 nicht von Sehnsüchten und Träumen die Rede, sondern bald von in der Legion versteckten Nazi-Schergen. Neben einigen Mitgliedern der Waffen-SS, die tatsächlich in die Anonymität der „Armee der Namenlosen“ abtauchten, gab es jede Menge Flüchtlinge und sonst wie Entwurzelte. Bei aller – unerwiderter – Liebe Frankreichs zu seiner exotischen, in Filmen später mystifizierten Kolonie Indochine: Die Bereitschaft junger Franzosen war denkbar gering, wieder in einen – diesmal neun Jahre dauernden – Krieg zu ziehen. Als Osteuropa hinter dem eisernen Vorhang verschwand, wurde das besetzte Deutschland zur Hauptquelle von Söldnern. Auch etliche Österreicher heuerten an. Das früher recht ausgewogene Verhältnis von Nationalitäten in der Legion – nie mehr als 20% einer Sprachgruppe – wurde rasch vergessen. Deutschsprachige Kombattanten erreichten einen Anteil von 40%, zum Höhepunkt der Kämpfe gegen die Viet Minh in einigen Einheiten sogar 60%.
Vereinzelt ließen sich auch junge Wehrmachtssoldaten anwerben, die wenig mehr als Kämpfen gelernt hatten und der Trostlosigkeit in Deutschland entkommen wollten. Doch oft suchten orientierungslose Halbwüchsige, so manche noch mit Hitlerjugend-Drill und Helden-Wertvorstellungen beladen, die aber den 2. Weltkrieg nur aus glorifizierten Erzählungen kannten, nach Kameradschaft und Legionärsromantik. Minderjährige Vagabunden wurden weitab von Kolonialvillen, Teakholz und Ventilatoren zum Werkzeug des Kolonialkrieges bei so genannten „Polizeioperationen“, bei grausamen Vergeltungsaktionen. Um die Verteidigung von Menschenrechten der französischen Republik oder andere hehre Ideale ging es kaum.
Die Disziplin ließ zu wünschen übrig. Bei Personenkontrollen wurde gestohlen, Ausrüstung inklusive Waffen und Munition wurde am Schwarzmarkt verschoben. Kaum einer lebte allein vom Sold. Persönliche einheimische Angestellte übernahmen unerquickliche Arbeiten in der Garnison, und für sexuelle Dienste gab es – anders als etwa später in Algerien – keinen Mangel an Frauen. Ein erheblicher Teil der Legionäre ging eine Ehe auf Zeit mit einer Vietnamesin ein.
Die Heldenlegenden wurden in Dien Bien Phu zur Geschichte einer vernichtenden Niederlage. Die deutsche Presse schrieb vom „Stalingrad Frankreichs und der Fremdenlegion“. Die Deutschen seien „zum Sterben angetreten wie in einer mythischen Gotenschlacht“, meinte der damalige Fallschirmjäger und spätere Journalist Peter Scholl-Latour etwas sarkastisch. Alice Ekert-Rotholz hat den deutschen Toten und Überlebenden mit der „Flucht aus den Bambusgärten“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
Auch auf der Gegenseite gab es Deutschsprachige. Mehr als 1000 Legionäre desertierten und liefen zu Hồ Chí Minhs Kämpfern über. Einige Intellektuelle und Linke hatten sich schon vorher aus Überzeugung den Vietnamesen angeschlossen. Einer, der in den Viet-Minh-Truppen Karriere machte, war der Wiener Ernst Frey. 1915 geboren, floh er als Kommunist und Jude nach dem Anschluss nach Frankreich. Er wollte zu den internationalen Brigaden nach Spanien und heuerte dann bei der Fremdenlegion an, um gegen Hitler zu kämpfen. Wie andere Brigadisten, die mit Francos Sieg nach Frankreich entkommen waren und dort in Internierungslagern gefangen gehalten wurden, landete er via Algerien 1942 als Legionär Nummer 78.502 in Indochina. Bald gründete er eine „anti-petainistische“ Zelle und nahm Kontakt mit vietnamesischen Genossen auf. Von japanischen Truppen gefangen genommen, kehrte der „halb verhungerte und schmutzige Kriegsgefangene“ nach der Befreiung 1945 nicht nach Wien zurück. Stattdessen verbreitete er die Nachricht seines Todes und trat sozusagen zur Geburtsstunde des modernen Vietnam in den Dienst Hồ Chí Minhs. Als Nguyen Dan wurde er Ausbildner für militärische Organisation, Taktik und Strategie, und bald als Oberst der Viet Minh Vertrauter des legendären Generals Võ Nguyên Giáp.
Nach vier Jahren Kampf wird Frey von Fieberattacken überrollt. Albträume quälen ihn, die Folterungen von Abweichlern durch seine Genossen und seine eigene Verantwortung, etwa für die Exekution von deutschen Deserteuren aus der Truppe, von vermeintlichen Verrätern. „Ich wollte keine Macht mehr haben. Ich wollte nicht mehr leben“, schreibt Frey Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen. Er ist damals 31 und versucht, sich mit einer Handgranate das Leben zu nehmen. Nach einem fiebrigen „Gotteserlebnis“ konvertiert der bis dahin überzeugte Atheist zum Katholizismus. Beim Parteitag der KP Indochinas im Februar 1950 mitten im Urwald entsetzen ihn die übergroßen Portraits von Hồ Chí Minh, von Stalin und Mao. Die roten Revolutionsfahnen mit dem gelben Stern verschwimmen ihm plötzlich mit der roten Hakenkreuzfahne. Frey tritt ans Rednerpult, redet auf die Genossen ein, den Kampf nicht zu glorifizieren, spricht vom Frieden.
Der Krieg der Vietnamesen gegen die hauptsächlich von Fremdenlegionären getragene und nun zunehmend von den USA unterstützte Kolonialmacht Frankreich ging indes unvermindert weiter. In der Endschlacht um die Festung bzw. vielmehr um den Kessel von Dien Bien Phu im Frühjahr 1954 kämpften sich General Giáps Soldaten an die französischen Stellungen heran, und der Elsässer Viet Minh-Propagandaoffizier Erwin Borchers forderte die Söldner per Lautsprecher auch auf Deutsch zur Desertion auf. Geschätzte 8000 der etwa 35 000 Deutschen Legionäre in Indochina überlebten nicht. Nach Kriegsende kamen 800 überlebende deutsche Überläufer via China und Moskau zurück nach Europa.
Erich Frey war schon vorher zusammen mit Georg Wächter, einem anderen Österreicher bei den Viet Minh, auf diesem Weg nach Hause gefahren. Erst da erfuhr er vom Schicksal seiner Eltern – ihrer Ermordung im KZ. Der frühere Kommunist und nunmehrige Christ wurde Antimilitarist, Antikommunist. Später unterstützte er Amnesty International, und Wehrdienstverweigerer vor der Zivildienstkommission. Er söhnte sich mit seinem einstigen Mentor aus, dem im Herbst 2013 verstorbenen General Giáp, und schrieb ihm, Vietnam sei seine Heimat, die er 1950 verloren habe: „Es war auch das einzige Land, für das ich bereit gewesen wäre, mein Blut zu vergießen.“ 1980 erhielt Frey den Hồ Chí -Minh-Orden für seine Verdienste.
Er schrieb seine Erinnerungen nieder und versuchte bis zu seinem Tode vergeblich, einen Verlag zu finden. „Schaut’s, dass das Buch herauskommt“, war das Vermächtnis an seine beiden Töchter. Die Historikerin Doris Sottopietra hat das 1200 Seiten-Manuskript zu einem schillernden Zeitdokument verdichtet. Ernst Frey ist vor 20 Jahren, im Jänner 1994 verstorben. Der Czernin Verlag hat die Memoiren kürzlich neu aufgelegt. Vietnam, mon amour ist der romantische Titel, wohl an das Drehbuch der in Saigon geborenen Marguerite Duras zu Alain Resnais‘ Filmklassiker Hiroshima, mon amour angelegt.
Auch wenn der Krieg in Vietnam, der hier bald der „amerikanische“ genannt wurde, weiterging: Arabische und algerische Soldaten trugen die selbst erlebte Möglichkeit, die Freiheit gegen scheinbar überlegene Kolonialherren zu erkämpfen, zurück in ihre Heimatländer. Wenige Monate nach der Kapitulation von Dien Bien Phu ging im November 1954 die algerische FLN in die Offensive.
Freiwilligen Kombattanten wird im manchmal verklärten Rückblick wenn nicht Bewunderung, so doch Respekt gezollt, seien es einst Brigadisten in Spanien gewesen, oder Revolutionäre in Vietnam wie Ernst Frey. Doch nicht alle kämpften schon damals für Demokratie oder eine Art von Freiheit, wie wir sie verstehen. Auch wenn es gegen einen ausgewiesenen Diktator gehen mag: Heute verschaffen uns Kombattanten aus Europa in einem Jihad ein zumindest mulmiges Gefühl. Geschätzte 2000 EU-Bürger kämpfen 2014 in syrischen Milizen, davon ein paar Dutzend aus Österreich. Die meisten haben einen Familienhintergrund aus dem Nahen Osten oder dem Maghreb; etliche sind Konvertiten.
Söldner, Kämpfer gegen Bezahlung waren quer durch die Geschichte wenig geachtet. Mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und der Aufstellung von Berufsarmeen beginnen die Grenzen wieder zu verschwimmen. Für ihren Bedarf im Irak- und Afghanistan-Krieg übernahmen die USA das Legionärsmodell und rekrutierten mittels Green-Card-Angeboten arme Lateinamerikaner. Längst aber machen moderne „Sicherheitsfirmen“ – Stichwort Blackwater – den einstigen Legionären im Berufsfeld käufliche Gewalt Konkurrenz.