Kandeh Yumkella

Kandeh Yumkella, Generaldirektor der Unido,
über bedenkliche Entwicklungsmythen, grüne Chancen durch die Krise, die Zukunft der Globalisierung und sein Leben als UN-Funktionär in Wien (link zum Gespräch oben im Namen)

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Kandeh Yumkella

„Ich bin ein unverbesserlicher Optimist“

Kandeh Yumkella

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Photos: Nambou Mounikou

Kandeh Yumkella, der Generaldirektor der Unido, spricht über bedenkliche Entwicklungsmythen, grüne Chancen durch die Krise, die Zukunft der Globalisierungund sein Leben als UN-Funktionär in Wien.

Gunther Neumann/Wiener Zeitung: Die Globalisierung scheint derzeit herbe Rückschläge zu erleiden. Linke Aktivisten und nationalistische, protektionistische Kreise triumphieren, dass neoliberale Finanzmärkte, der Freihandel, ja der Kapitalismus gescheitert seien.

Kandeh Yumkella: Schütten wir nicht das Kind mit dem Bade aus. Ja, wir durchleben eine Finanzkrise. Aber zwei Jahrzehnte Globalisierung haben hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt. Insbesondere die Asiaten haben von technologischen Fortschritten, der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und von freieren Märkten profitiert. Wir können diese Erfolge nicht in Frage stellen. Gleichzeitig sind Fehler passiert. Das ist menschlich. Manche entwickelte Industriestaaten müssen wieder eine gesunde Balance zwischen Finanzmärkten und dem Produktionssektor herstellen, der in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurde. Aber gerade Entwicklungsländer brauchen zur Armutsbekämpfung Handel und Know-How. Nutzen wir die Krise als Nachdenkpause über neue Klimaziele, die Verbreitung sauberer Technologien und für eine grüne industrielle Revolution.

Wie will die Unido den Herausforderungen bei den angesprochenen Themen Klimawandel, Grüne Energie und Technologietransfer begegnen? Wo liegt überhaupt der Mehrwert internationaler Organisationen? Immer mehr Menschen scheinen diese skeptisch zu betrachten.

Wir, und damit meine ich alle Experten im Bereich Entwicklung, müssen uns wieder auf ein gesundes Maß an Bescheidenheit besinnen. Und dabei Dogmen vermeiden. Eine Zeitlang war bei der Definition von Entwicklungszielen jedwede Industriepolitik verpönt. Es wurde nur von Grundbedürfnisbefriedigung gesprochen. Heute ist die Sicherung ganzer Industrien ein Kernbereich nationaler Politik, nicht nur in den klassischen Industrieländern. In den letzten Jahren war der Begriff Wirtschaftswachstum tabu. Jetzt ist Wachstum plötzlich wieder en vogue. Und die Rolle des Staates wird wieder neu bewertet.

Wir sollten pragmatisch vorgehen. Ideologiefrei betrachtet, haben alle Akteure ihre Rollen: der Privatsektor, NGOs, Staaten und auch multilaterale Institutionen. Wären manche offensichtlich globale Themen nicht so schwierig zu verhandeln, dann würden wir zum Beispiel nicht schon so lange über Klimawandel debattieren. Wir brauchen einen multilateralen Mechanismus für regulative Standards. Um alle, auch die leiseren Stimmen zu hören, und um zu einem globalen Konsens für schmerzhafte, aber nötige Maßnahmen zu kommen. Auch, um umweltfreundliche Technologien für möglichst viele Menschen verfügbar zu machen. 1,6 Milliarden Menschen leben ohne elektrischen Strom, 2,5 Milliarden von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Wie können wir diese Milliarden aus der Armut führen? Die Unido hilft sowohl dem Privatsektor als auch Entwicklungs- und Reformländern bei der Strategieentwicklung und der Verbesserung ihrer oft schwachen Verwaltungsstrukturen.

Bedeutende Länder wie die USA haben der Unido Ineffizienz vorgeworfen und sind deshalb aus ihr ausgetreten. Ihre Organisa- tion musste Budget und Personal drastisch reduzieren.

DSC01466Ja, auf weniger als insgesamt 600 Angestellte in Wien und in 30 Länderbüros. Nach einem rigorosen Sparprogramm sind wir heute schlanker und effizienter denn je. Wir konzentrieren uns auf drei Schlüsselbereiche: Erstens Armutsbekämpfung durch produktive Beschäftigung, zweitens Befähigung zum Handeln lokal und weltweit, drittens Energie und Umwelt.

Stichwort schwache Verwaltungsstrukturen: Was sagen Sie den Regierungen von Ländern, die sich um Auslandsinvestitionen bemühen, ohne aber, um es milde zu formulieren, die Kriterien von Transparency International zu erfüllen? Die also korruptionsanfällig sind.

Korruption gibt es überall. Aber die Ärmsten bezahlen den höchsten Preis und leiden am meisten unter den Konsequenzen: durch fehlende staatliche Dienstleistungen, mangelnde Gesundheitsversorgung, schlechte Schulen. Ich bin auch zu meinen afrikanischen Kollegen sehr direkt: Wir haben im 21. Jahrhundert die Verpflichtung, auf unserem Kontinent Bedingungen sicherzustellen, die langfristige Investitionen ermöglichen. Korruption behindert jede Art von Wirtschaft, aber Klein- und Mittelbetriebe sind am schlechtesten gerüstet, damit umzugehen. Und da diese Betriebe den Wachstumsmotor in Entwicklungsländern verkörpern, sind die Auswirkungen auf die Ärmsten fatal.

Afrikanische Länder werden noch immer gerne als Opfer von Kolonialismus und Ausbeutung dargestellt, oder als Leidtragende von Naturkatastrophen und Bürgerkriegen, weit seltener als verantwortliche Akteure.

Ja. Asiaten planen langfristig, über zehn, zwanzig Jahre. Aber auch Afrika hat, was erfolgreiche Reformen bei der Verwaltung und der Korruptionsbekämpfung anbelangt, Erfolgsbeispiele, beispielsweise Ghana, Tansania, Uganda. Solche Länder sollten belohnt werden. Sie haben Investitionen verdient, etwa in die Infrastruktur, um über verbesserte Verkehrsverbindungen auch das Innere des Kontinentes für einen globalen Markt zu öffnen. Die internationale Gemeinschaft sollte uns dabei helfen, ebenso ehrgeizige wie nachhaltige Ziele zu entwickeln. Wir waren in Afrika allzu lange mit Feuerwehraktionen beschäftigt. Aber gerade im Infrastrukturbereich sind großzügige Summen nötig.

Die allerdings in Krisenzeiten noch schwerer zu bekommen sind. Sie sprechen vom großen Geld, während etwa Mohammed Yunus für sein Mikrokreditsystem, das Millionen Menschen, gerade auch Frauen und deren Familien aus der Armutsfalle befreite, den Nobelpreis erhielt.

Dagegen habe ich nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil. Aber Kleinstunternehmen produzieren lokal. Gehen Sie auf einen afrikanischen Markt. Händler haben ein paar Früchte vor sich liegen, das ist alles, der Rest ist importierte Fertigware. Wir brauchen Vielfalt, Investitionen auch in mittlere Unternehmen mit, sagen wir, 50 Angestellten. Erst diese veredeln Rohprodukte, stellen die notwendige Verbindung zwischen den Kleinstunternehmen und einem größeren Markt her, sind Ansprechpartner für internationale Unternehmen, für globalen Handel und Technologietransfer.

Mohammed Yunus meint, ein Charity-Dollar habe nur ein Leben. In Sozialunternehmen investiertes Geld wird hingegen wiederverwertet: Es habe unendlich viele Leben. Sie gehen noch weiter, Sie sagen „trade, not aid“ – also Handel statt Hilfe?

Nein, wir brauchen beides. Handel, aber auch Hilfe. Für Investitionen nicht nur in kleine, sondern auch in mittlere und größere Unternehmen; in Telekommunikation, in effiziente Verwaltung, in Verkehrsinfrastruktur, die Wirtschaftswachstum und Handel erst ermöglichen.

Gibt es Unternehmen aus Industriestaaten, die nicht nur kurzfristige Profite anstreben, sondern sich tatsächlich um globale – ökologische wie soziale – Verantwortung sorgen?

Wir alle müssen unsere Hausaufgaben machen. Unternehmen, indem sie bereit sind, auf Kosten kurzfristiger Profite langfristig zu investieren, aber dafür mit dauerhaften Gewinnen. Afrika ist zu lange als Rohmaterialquelle gesehen worden. Rohstoffreichtum ist oft kein Segen, sondern ein Fluch: für die Umwelt, die weiterverarbeitende Wirtschaft, für Regierungen, die Herausforderungen nicht gewachsen waren. Wir Afrikaner müssen unsere produktive Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen, wie dies Asien erfolgreich getan hat. Und sprechen wir bei Afrika-Entwicklungskonferenzen nicht nur über Landwirtschaft. Sprechen wir über Agrobusiness. Dafür brauchen wir Technologie, Bewässerungssysteme, dem Klima angepasstes Saatgut. Und die entsprechend nötige Ausbildung der Menschen.

Diese Ideen dürften bei manchen NGOs, die landwirtschaftliche Selbstversorgung mit traditionellem Saatgut propagieren, auf wenig Gegenliebe stoßen.

DSC01516Hier ist viel Ideologie im Spiel. Ich nenne es das „glückliche-Bauer-Syndrom“ – das bedeutet, dass seine drei Frauen für einen Bauern arbeiten. Der Herr muss sich aber auch am Markt bewähren, wie es Asiaten geschafft haben. In Malaysia, Indonesien beziehen nationale Supermärkte erfolgreich lokale, weiterverarbeitete, veredelte Produkte. Nicht auf Kosten von Kleinunternehmen, im Gegenteil. Es geht um ein Gleichgewicht.

Alle paar Jahre kommen Entwicklungsexperten mit neuen Ansätzen nach Afrika, und alte werden über Bord geworfen. In Asien sind die Entwicklungen gradueller. Schauen Sie nach Bangla Desh, wo Yunus mit Mikrofinanzierungen begonnen hat. Gleichzeitig ist das Land einer der weltgrößten Textilexporteure geworden. Afrika kann das auch schaffen: Mikrofinanzierung plus Mittelbetriebe plus Big Business. Es geht um eine möglichst ausgeglichene, arbeitsteilige Wirtschaft. Afrika fehlt zwischen Kleinstproduzenten und Rohstoffexport im großen Stil vor allem die Mitte – eine produktive verarbeitende Industrie.

Wir haben zu viel Ideologie, zu viel polemische Debatten. Gentechnologie? Afrikaner sollten die Hände davon lassen! Wenn ihr exportiert, werdet ihr verhungern! Warum? Natürlich brauchen wir Wissen über Wassermanagement, über Nachhaltigkeit. Es geht um eine breitere Entwicklung, um Kreativität, Arbeitsplätze, um privatwirtschaftlichen Wohlstand, um Wettbewerbsfähigkeit, um Wege aus der Armut.

Apropos Nachhaltigkeit. Bei der Internationalen Energiekonferenz diese Woche in der Wiener Hofburg wurde viel von den entscheidenden Weichenstellungen für neue Klimaziele nach Kioto gesprochen

Die Weltklima-Nachfolgekonferenz in Kopenhagen im Dezember naht mit Riesenschritten. Beim Vorbereitungstreffen hier in Wien ging es noch nicht um die politischen Entscheidungen. Experten und Praktiker sprachen aber über Kernthemen wie Energieeffizienz, erneuerbare Energie, nötige Weichenstellungen und Investitionen. Energiefragen werden die globale Diskussion der nächsten fünf bis zehn Jahre bestimmen, in den USA, in Europa, im Nahen Osten, und nicht zuletzt in allen Entwicklungsländern. Wien kann ein virtueller Energie-Drehpunkt werden. Die Internationale Atomenergieagentur, Opec, Unido oder Iiasa haben bereits ihren Sitz in Wien.

Sollte daher auch die kürzlich gegründete Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (Irena) in Wien angesiedelt werden?

(Lacht) Das ist eine politische Frage, die von der Staatengemeinschaft zu entscheiden ist, nicht von mir. Aber Österreich ist bei erneuerbarer Energie führend, hat Energieeffizienz zu einem Schwerpunkt seiner Entwicklungszusammenarbeit gemacht und könnte zum Knotenpunkt für Expertenaustausch und innovative technologische Lösungen werden. Wir können nicht warten, bis in Afrika ein zentrales Elektrizitätsnetz aufgebaut wird, während inzwischen die Holzreserven verfeuert werden. Wir brauchen kleinräumige Netze, effiziente, nachhaltige, breitere Lösungen. Etwa Bio-Gas, Kleinwasserkraft und Sonnenenergie statt Generatoren. Ich glaube fest daran und will selbst für mein Heimatdorf eine Solaranlage installieren, an der meine Mutter nicht nur ihr Mobiltelefon aufladen kann.

Nun noch ein Themenwechsel. Wie willkommen fühlt sich ein afrikanischer Spitzendiplomat in Wien beim Anblick mancher Plakate im jüngsten Europa-Wahlkampf?

In all den Jahren hier hatte ich nur ein einziges Mal eine unangenehme Begegnung. In jedem Land gibt es ein paar Leute mit extremen Ansichten. Österreich ist für seine Dialogfähigkeit bekannt, und ich fühle mich hier sehr willkommen. Die Mehrheit der Bürger, und nicht nur die Regierung, weiß um die Bedeutung Internationaler Organisationen für Wien. Es ist die Verantwortung von uns allen, auch den skeptischen Rest zu überzeugen, dass wir in einer globalen Welt leben.

Wo sehen Sie die Vereinten Nationen, die UNO in zehn oder fünfzehn Jahren?

Ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Mein Vater hat mir in jungen Jahren ein Buch über positive Lebenseinstellung geschenkt. Er und das Buch haben mich ebenso geprägt wie meine Erfahrungen. Wenn Menschen die Hoffnung verlieren, werden sie verzweifelt, tun sie böse Dinge. Die Krise, aber etwa auch die Klimadebatte zeigen, dass wir uns alle – Reiche, Arme – eine Welt teilen. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass wir für Problemlösungen zusammenarbeiten können. Ungeachtet aller Krisen wird die UNO der globale Marktplatz für Ideen rund um einen weltweiten „Green New Deal“ sein, eine Neuverteilung der Karten, Chancen, aber auch Verantwortlichkeiten.

Haben Sie eine Vision für die Welt in 20 oder 30 Jahren?

Meine Hoffnung, mein Traum? Dass meine Enkel in Europa studieren könnten, aber auf eine gute Universität in Afrika gehen wollen. Und dann ebendort in einer erfolgreichen Firma arbeiten. Dass sie frei sind, Geschäftspartner, Freunde rund um die Welt zu haben. Und dass Afrikaner eines Tages als wohlhabende Touristen in Europa willkommen sind, und nicht als verzweifelte Migranten an seine Küsten gespült werden.

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Zur Person

Kandeh K. Yumkella wurde 1959 in Sierra Leone geboren. Erfahrungen in mehreren Kontinenten haben ihn geprägt – und zu einem leidenschaftlichen Verfechter der Globalisierung gemacht, auch in Zeiten der Krise. Aus einem Dorf kommend, wo es bis heute keinen Strom gibt, studierte er Agrarwirtschaft, arbeitete an renommierten US-Universitäten, später als Entwicklungsexperte in Afrika, war während des Bürgerkrieges in seinem Heimatland kurz Wirtschaftsminister und wechselte dann zu den Vereinten Nationen. Asiens Entwicklungserfolge der letzten Jahrzehnte haben ihn nachhaltig beeinflusst. Seit Ende 2005 ist er Chef der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) sowie u. a. Vorsitzender des UN-Energie Komitees. Er wurde gerade für eine weitere vierjährige Amtszeit bestätigt.

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Die Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung (UNIDO) ist seit ihrer Gründung 1966 in Wien ansässig. Sie konzentriert sich heute auf Armutsbekämpfung durch möglichst umweltschonende Industrialisierung, technische Hilfe, Beratung, Qualitäts- bzw. Produktivitätsverbesserung und Umweltmanagement. Darüber hinaus spielt die Unido bei der Umsetzung des Montreal-Protokolls (über ozonschichtschädigende Substanzen) und des Kyoto-Protokolls (zum Klimawandel) eine führende Rolle, und ist in die Vorbereitungen zur Klima-Nachfolgekonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 eingebunden. In diesem Rahmen fand auch diese Woche eine internationale Energiekonferenz in der Wiener Hofburg statt, gemeinsam veranstaltet mit der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und dem Institut für Angewandte Systemanalyse (Iiasa).

Photo: Gunther Neumann

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