Anna Mitgutsch: Die Grenzen der Sprache

Jenseits des Horizonts

Anna Mitgutsch: Die Grenzen der Sprache

Wiener Zeitung, April 2013

Seit den Anfängen der Schrift bei Gilgamesch lagen jenseits des Horizontes die Gefilde der Sehnsucht, der Utopie, des Transzendenten – und die Abgründe des Schreckens, der Auslöschung. Stets versuchten Literatur – und Religion -, über den Rand des Denkbaren hinauszugelangen.

In neun Romanen hat sich Anna Mitgutsch den Grenzen des Sagbaren angenähert. Stets hat sich die promovierte Literaturwissenschafterin auch mit dem Wesen der Sprache auseinandergesetzt, mit dem Erinnern und Erfinden. Nun spürt sie im Essayband „Grenzen der Sprache“ den Versuchen der Weltliteratur nach, über den Rand des Denkbaren hinauszugehen.

Ein Essay ist ein Versuch. Bei Mitgutsch ist das nicht bloß ein wissenschaftlicher, sondern auch ein poetischer. Sie tastet sich an das Unsagbare aus unterschiedlichen Perspektiven heran, im Dialog mit Autoren, bei leichter Englisch-Lastigkeit in der Auswahl: Mitgutsch ist Anglistin.

Die gebürtige Linzerin hat in England, Asien und in den USA gelebt, hat in universitärer Lehre, im Alltag, in privater Beziehung und als Übersetzerin zwischen Kulturen und Sprachen fluktuiert. Nicht nur im Roman „Zwei Leben und ein Tag“ hat sie – hier am Beispiel Herman Melvilles – auch der Möglichkeit des Scheiterns bei Grenzüberschreitungen Raum gegeben, – mit der Gefahr ewiger Fremdheit bis hin zu Wahnsinn, Untergang, Tod.

Die Moderne brachte eine Sprachkrise, als es für Naturwissenschaft und Moral scheinbar keine gemeinsame Sprache mehr gab. Auf der einen Seite herrschte die Hybris, grundsätzlich alle Grenzen technisch überwinden zu können. Auf der anderen Seite verlagerte sich die Sehnsucht in den „Weltinnenraum“, etwa durch Rilke.

Wirklichkeit und Erkenntnisfähigkeit wurden grundlegend in Zweifel gezogen – beispielhaft bei „Godot“: „Ich halte Ausschau nach der Stimme meines Schweigens“, sagte Samuel Beckett. Und gerade die österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts zeigte eine fundamentale Sprachskepsis.

Das Bedürfnis nach Entgrenzung und Unendlichkeit blieb, obwohl jede religiöse Terminologie in der säkularisierten Moderne lange Zeit tabuisiert war. Nach der Shoa ist das Unsagbare nicht mehr das Göttliche, sondern der Abgrund. Theodor W. Adornos radikales Diktum, dass „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, barbarisch“ sei, hielt bekanntlich nicht. Paul Celan, vom Holocaust tief gezeichnet, versucht in dem Dilemma, in der „Sprache der Täter Zeugnis ablegen zu müssen von einer Erfahrung, die nicht mittelbar ist“ eine Annäherung über das absolute Gedicht, das „im Grenzbereich von äußerster Reduktion und Schweigen gerade noch existiert“.

In ihrem eigenen Werk bleibt die Schriftstellerin Anna Mitgutsch Meisterin, auch ohne Metaphern sprachgewaltig nach dem Unsagbaren zu greifen.

Anna Mitgutsch: Die Grenzen der Sprache. Essay. Residenz Verlag, St. Pölten/Wien 2013, 112 Seiten, 16,90 Euro.

http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/buecher_aktuell/538877_Mitgutsch-Anna-Die-Grenzen-der-Sprache.html

This entry was posted in Rezensionen. Bookmark the permalink.

Kommentare sind geschlossen.