Gastland im Zerrspiegel
Irena Brežná: Die undankbare Fremde
Wiener Zeitung, August 2012
Eine zarte Person mit Regenschirm balanciert auf einer Lichterkette, zwischen Stromkabeln, Kirchtürmen und Wolken: Das Umschlagbild vermittelt Poesie wie auch Gefährdung, und der Titel, „Die undankbare Fremde“, ist doppeldeutig: Ist nur die Aufgenommene undankbar? Oder auch das Zufluchtsland?
Eine namenlose Ich-Erzählerin flieht als Pubertierende vor dem Prager Herbst in die kalte, saturierte Schweiz. Schon bei der Ankunft fühlt sie ihren slawischen Namen von Grenzwächtern verstümmelt, empfindet das saubere Exil nicht als Befreiung und sich als Mädchen, das mit einem alten Mann zwangsverheiratet wird. Doch die Heranwachsende fügt sich nicht, rafft sich als störrische Rotznase auf zum sprachgewaltigen Furor des Widerstands.
Migranten sind zu preisgekrönten Leitfiguren aktueller Literatur geworden. Je nach Standpunkt in offenbar unvermeidlichen Integrationsdebatten nicken wir oder sind empört, wenn vermeintlich Fremde nicht dankbar sind, sondern ihre Zuflucht, unsere Heimat aufs Korn nehmen. Selten hat dies jemand so ungeniert, so politisch unkorrekt getan wie die in der Slowakei geborene Schweizerin Irena Brežná. Ein Kaleidoskop von Begebenheiten und Beobachtungen einer Halbwüchsigen wird zum grandiosen Monolog, der sich in schäumenden Kaskaden über die Wahlheimat ergießt, die weder gewählt ist noch Heimat wird. In messerscharfer Beobachtung, provokanter Offenheit und lustvoller Übertreibung hält die freche Göre dem sogenannten Gastland – es könnte ebenso gut Österreich oder Deutschland sein – als schein-idyllischer Insel den Spiegel vor, der in sprachvirtuosen Rundumschlägen zum Zerrspiegel wird. Und das tut manchmal weh.
Die Erzählstimme entspricht dabei nicht unbedingt der einer aufmüpfigen Jugendlichen. Die Bilder sind kraftvoll, manche so gewaltig, dass sie für Momente den Erzählfluss stauen. Gleichwohl erreicht die Sprachkünstlerin eine magische Intensität.
Irena Brežná hat als Kriegsreporterin für NGOs und als Psychologin gearbeitet. All das fließt in die zweite Ebene des schmalen Bandes ein, einen parallelen, in kursiv gehaltenen Erzählstrang: In verdichteten Passagen vermittelt die Ich-Erzählerin, nunmehr als Erwachsene, überaus berührend das Schicksal anderer Immigranten. Sie ist Dolmetscherin für Kriegsflüchtlinge mit all ihren Schicksalen, Hoffnungen und Illusionen; für Traumatisierte in Transiträumen, Kliniken oder vor Gericht; für „die feinen Akzente, auch das seelische Hinken der Entwurzelten“. Sie wird zur Mittlerin zwischen Kulturen und den oft auf beiden Seiten Sprachlosen. „Als sprachlicher Notdienst kurve ich in Sprachen wie in verwinkelten Gassen herum, berühre den einen oder anderen Arm und schaue in viele Augen.“
Gegen Schluss begegnen sich die zwei Ebenen. Die jugendlich-scharfe Beobachterin ist in ihrer Akribie längst mehr Teil der Kultur des Gastlandes, als ihr bewusst war. „Ich fand sie, die Heimat des Motzens“, während sie selbst „älter wird, und das Land immer jünger und bunter.“ Brežná hat sich mit ihrem pointierten Buch über Ankommen, Anpassung und Widerrede einen Platz in der interkulturellen Literatur erschrieben.
Irena Brežná
Die undankbare Fremde
Galiani Verlag, Berlin 2012