Roy Kesey: Pacazo

Ausufernde Rachegelüste

Pacazo

Roy Keseys so packender wie überbordender Debütroman über Trauer und Wut

Wiener Zeitung, Dezember 2014

Der junge US-Historiker John ist Englischlehrer an der Universität von Piura, durch Mario Vargas Llosas Roman „Das grüne Haus“ bekannt. John verliebt sich in eine Studentin, heiratet, bekommt mit ihr eine Tochter. Kurz nach der Geburt wird seine Frau in einem Taxi entführt, vergewaltigt und in der Wüste ausgesetzt. Sie überlebt nicht. John taumelt den äußerst dünnen Spuren hinterher, der schwachen Erinnerung an eine Taxi-Nummertafel, besessen davon, den oder die Mörder zu finden – und muss doch im Nebel des Nicht-Wissens sich und seinem Kind eine Zukunft geben.

DSC06330In unmittelbarer, zwingender Sprache erleben wir Johns Qualen von Trauer und hilflosem Hass. Zwischen Erstarrung, Selbstironie und Besessenheit dreht er sich im Kreis, und mit ihm der Leser. Letzterer versucht, bei all den Spannungselementen einem Plot auf der Spur zu bleiben, doch Johns obsessive Geschichte zerfasert: vom Bettchen seiner Tochter zu eigenwilligen Wünschen im Bordell, über Behördenärger, Korruption, Universitätsintrigen, Freunde, peruanische Alltagskultur mit lokalen Speisen und Gebräuchen, Hexenmeistern bis zur Flora und Fauna des Landes: Pacazo, ein Leguan, ist der Namensgeber für das Romandebüt des amerikanischen Kurzgeschichtenautors.

Roy Kesey erzählt gekonnt und kaum gezügelt. Die Handlung ufert aus wie biblisch anmutende Überschwemmungen, die im Zuge eines El Niño in der Mitte der 600 Seiten über die Geschichte und den Leser kommen. Der lebhafte, in der Ich-Form geschriebene Bewusstseinsstrom mäandert in Johns Vergangenheit und der seines Gastlandes. In ein und demselben Satz verwirbelt der Autor Jahrhunderte, bis zu den Konquistadoren und Perus präkolumbianischen Kulturen.

„Pacazo“ ist eine Collage aus Kriminalgeschichte, Entwick-lungs- und historischem Roman. Auch wenn im breitest angelegten Panorama unsere Vorstellungskraft zuweilen ermattet: der Roman „Pacazo“ bietet – nicht nur für Perureisende – eine spannungsreiche Lektüre. Es bleibt zu hoffen, dass Kesey nicht zu viel von seiner vielkalibrigen erzählerischen Munition verschossen hat, und er bei dem überzeugenden Talent eine weitere, noch stringentere Geschichte schreibt.

Roy Kesey: Pacazo. Roman.

Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger.

Residenz Verlag, St. Pölten 2014, 608 Seiten

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