Wahnsinn wagen, um normal zu bleiben
Astrid Rosenfeld: Adams Erbe
Der Standard, August 2011
Was verbindet zwei Menschen, die durch Generationen und einen Abgrund getrennt sind? Familienbande? Äußere Merkmale wie ähnliche Gesichtszüge? Charaktereigenschaften als Zuschreibungen anderer? Eine von außen verordnete Identität?
Identität und Erinnerung, ein Familientabu, Liebe und ein teuflisches Geschäft sind die Ingredienzien von Adams Erbe. Die vierunddreißigjährige Astrid Rosenfeld hat sich in ihrem Debütroman auf das schwierige Spiel zweier Ich-Erzähler eingelassen, Großonkel und Großneffe Cohen, deren Geschichten in der Düsternis eines Dachbodens verknüpft sind.
Der schelmenhafte erste Romanteil, wie eine etwas lang geratene Rahmenhandlung wirkend, kreist um Edwards kuriose Kindheit in einer leicht meschugge anmutenden Familie im Westberlin vor dem Mauerfall. Der verwirrte Opa lebt in einer Kammer unterm Dach und murmelt, Edward sei seinem Großonkel wie aus dem Gesicht geschnitten.
Im Familiengeschweige vergifteter Erinnerungen ist jener mysteriöse Adam ein Verräter, wie die ewig nörgelnde Oma andeutet, ein rabenschwarzes Schaf, das am Vorabend des Zweiten Weltkriegs mit dem für die Flucht bestimmten Vermögen auf und davon sei und so die Hälfte seiner Familie dem Naziverderben preisgegeben habe.
Der kleine Edward entschlüpft den Schatten und freundet sich im Zoo mit Jack an, einem kauzigen Taugenichts, der für Elefanten singt. Der charmante Elvis-Abklatsch verdreht auch Edwards alleinerziehender Mutter alsbald den Kopf, schlägt sie, verzaubert sie mit tausend Rosen und macht den orientierungslosen Jungen mit heiterer Leichtigkeit zum Kleinganoven.
Rosenfeld unterhält mit kraftvollen Bildern. Mag die Roadmoviegeschichte stellenweise konstruiert wirken, sie lebt von seltsamen Paarungen und Charakteren. Manche sind ironisch überzeichnet, keiner ist ganz ernst zu nehmen, und selbst die durchschnittlichen sind außergewöhnlich geraten – die Autorin hat früher in der Filmbranche, unter anderem als Casterin gearbeitet.
Als junger Mann ins Familienhaus zurückgekehrt, findet Edward am Dachboden einen Pack Aufzeichnungen – ein langer Brief an eine gewisse Anna. Er liest und sinkt in die Geschichte seines bis dahin mysteriösen Großonkels.
Giftige Geschichtsbrühe
Jener Adam ist wie Edward als Kind weder sonderlich talentiert noch motiviert, erhält in derselben Berliner Wohnung um 1930 eher erfolglos Privatunterricht – und ist doch der Lieblingsenkel seiner so eigenwilligen wie klugen Großmutter Edda.
Diese studiert die kleinen Nazigrößen in ihrer Physiognomie wie in umgekehrter Rassenlehre, kommentiert Hitler, den „schnauzbärtigen August“ schnoddrig und hält die gesamte Familie mit undurchsichtigen Geschäften über Wasser, während die giftige Brühe höher steigt. Adam ist ein Träumer, dem wenig Zeit zum Träumen bleibt. Mit 18 trifft er Anna, die kurze Liebe seines Lebens, die schon bald darauf in der Reichskristallnacht verschwindet.
Nun hat er ein Ziel – Anna finden, und retten. Ein alter Verehrer von Edda, noch immer treuer Freund und nunmehr SS-Sturmbannführer, schleust nach Kriegsbeginn Adam Cohen als vorgeblichen Arier Anton Richter ins Auge des Höllenwindes, zum Generalgouverneur im besetzten Polen – als Rosenzüchter.
„Manchmal muss man den Wahnsinn wagen, um normal zu bleiben“ , gibt Edda ihrem Enkel als Rat mit – und das Familienvermögen in Form einer Handvoll eingenähter Diamanten. Adams wahnwitzige Geschichte wird zur Gratwanderung zwischen Humor, Groteske und Abgrund, mit Figuren wie von George Tabori. Rosenfeld, die übrigens nicht einer jüdischen Familie entstammt, hat sich als Nachgeborene unerschrocken an ein großes deutsches Thema gewagt.
Lachend ins Grauen
In den Dialogen, den Textbögen wie in kleinen Episoden zeigt sich eine talentierte Erzählerin, die in der Gratwanderung einer gewagten Fiktion den richtigen Ton findet und zwei Leben detailreich, aber ohne künstliche Parallelen verwebt. Sie gibt den Personen Raum, ohne sich in Psychologie zu verlieren, und zaubert aus Traurigkeit skurrilen Humor: Lachend rutscht der Leser in das Grauen, als Adam ein Plan von mephistohafter Dimension unterbreitet wird: Er muss weiter in die inneren Höllenkreise, damit Anna von dort rauskommt. „Freiheit bedeutet nicht Unabhängigkeit. Man ist immer von irgendwem oder irgendwas abhängig. Sich nicht zu fürchten ist die einzige Freiheit, die wir jemals erlangen könne“ , sagte Oma Edda.
Was bleibt, nachdem sich die beiden Handlungsstränge schließen? Vielleicht ein Hauch Hoffnung, als Frage: Aber rettest du eine – rettest du die Welt?
Astrid Rosenfeld
Adams Erbe
Roman, 384 Seiten
Diogenes Verlag, Zürich 2011